Die Bachausgabe ist beim Ries & Erler Verlag Berlin erschienen und in gut sortierten Fachbüchergeschäften oder in Online-Musikshops erhältlich 

Gedanken zur Interpretation der Solosuiten 

für Violoncello von Johann Seb. Bach


Leider genießen wir allzu oft beim Vortrag der sechs Solosuiten für Violoncello von Johann Seb. Bach den Schlusston am meisten, da eine knappe halbe Stunde der Langeweile endlich ihr Ende gefunden hat.

Als Kind, Jugendlicher und teilweise auch noch als Student habe ich es oft so erlebt. 

Nachdem sich in den letzten drei Jahrzehnten auf dem Gebiet der "Historischen Aufführungspraxis" einiges verändert und sich dadurch auch ein etwas anderer Blick auf diese sechs Werke eröffnet hat, konnte das oben genannte Statement Gott sei Dank schon einiges an Gültigkeit verlieren. Die Annäherung an den Originalklang und deutlichere Artikulationen haben maßgeblichen Anteil daran, diese Suiten für den Hörer interessanter werden zu lassen.

Allerdings ist dies lediglich der erste Schritt.


Nachdem mich Anfang der 90er Jahre der von mir sehr geschätzte (Barock-)Cellist Anner Bylsma nach längeren "Fachsimpeleien" -vielleicht ein wenig scherzhaft- gefragt hatte, ob ich nicht eine eigene Ausgabe der Solosuiten von Bach erarbeiten wolle, da wir beide die auf dem Markt befindlichen nicht für optimal hielten, entschloss ich mich, dieses Wagnis einzugehen.


Als ich zu Beginn meiner intensiven Beschäftigung mit diesem Thema die vier sich zum Teil heftigst widersprechenden Originalabschriften (eine Originalhandschrift von Bach existiert leider nicht) vor mir sah, war ich zunächst versucht, so wie ich es gewohnt war, Artikulationen zu glätten und sich entsprechende Stellen anzugleichen. Erst im Laufe meiner Arbeit kam der Gedanke, mich auf Ungewohntes einzulassen, "Widersprüche" nicht anzugleichen, ungewohnte Artikulationen nicht zu verdammen.


Auf einmal bot sich in vielen Teilen ein völlig neues Bild dieser Werke. Etwas reliefartiges war entstanden, die Strukturen der Sätze waren auf einmal besser nachzuvollziehen, der "klangliche Nebel" verflog und es tauchte eine Ebene "hinter" oder "unter" dem real Hörbaren auf.


Wenn dies so sein sollte, musste ein neuer Interpretationsansatz gefunden werden.

Ich formulierte folgende, vielleicht etwas verwegene Idee:


Wir kennen alle Bachs erschöpfende und oft bis an die Grenze des Machbaren gehende Arbeit mit den damals geltenden Kompositionsregeln (z.B. "Die Kunst der Fuge" und andere). Wäre es vielleicht denkbar, dass er bei diesen Solostücken wieder etwas besonderes geschaffen hat? 


Bach Cellosuiten: Die Kunst des Weglassens


Ich möchte versuchen, diese These in einem Satz zu erklären:

Wenn man sich eine große Partiturseite vorstellt, und jetzt (wie bei einem Kartenhaus bei dem man so viele Karten wie möglich entfernt, ohne das gesamte Gebilde einstürzen zu lassen) so viele Noten wie möglich entfernt, gelangt man zu einem Stadium, an dem, obwohl vieles nicht aufgeschrieben ist, die gesamte Partiturseite noch (unbewusst) hörbar und erlebbar ist, d.h. etwas Großes reich ausgeschmücktes wird als Essenz übertragen und baut sich beim Leser der Stücke und vor allem beim Hörer, wieder als etwas Großes auf.


Wenn dies so wäre, ließen sich auf einmal viele "unlogische" und und auf den ersten Blick "unverständliche" Artikulationen erklären. Es soll in der Regel nichts geglättet, angeglichen oder "verbessert" werden. 


Nachdem ich mich auf diesen Interpretationsansatz eingelassen hatte, erfuhr ich bis dahin verborgene Mehrstimmigkeiten, besondere Strukturen und eine hochinteressante und facettenreiche Welt "hinter" den Stücken.


Ein interessiert mitdenkendes und mitfühlendes Publikum, das nicht mehr unbedingt "Kenner" sein muss, hat mich in den letzten Jahren immer wieder in dieser vielleicht etwas gewagten Sicht dieser sechs Meisterwerke bestätigt. Prof. Hans-Christian Schweiker


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