Die Bachausgabe ist beim Ries & Erler Verlag Berlin erschienen und in gut sortierten Fachbüchergeschäften oder in Online-Musikshops erhältlich 

VORWORT



Johann Sebastian Bach hat mit den sechs Suiten für Violoncello solo (entstanden vermutlich um 1720) ein Meisterwerk geschaffen, das in seiner komposit- orischen Vielfalt und in seinem Facettenreichtum einzigartig ist in der Literatur für Violoncello. 

Die Beschäftigung mit diesen Kompositionen hat sich für viele Musik- wissenschaftler und Interpreten als immer wieder neu gestellte und interessante Aufgabe erwiesen. Das zeigt schon allein die Vielzahl der sich auf dem Markt befindlichen Ausgaben, unterschiedlich in der Art der Gewichtung der Quellen, ihrer Interpretation und des künstlerischen Geschmacks.


Großen Einfluß auf diese Verschiedenartigkeit und die damit hervorgerufenen Diskussionen auf musikwissenschaftlicher und künstlerischer Ebene hat die komplizierte Quellenlage der sechs Werke.

Da leider kein Autograph Bachs als Vorlage erhalten ist, ist der Herausgeber auf die Interpretation folgender vier erhaltener, sich zum Teil heftig widersprechender Abschriften angewiesen:


Der Abschrift Anna Magdalena Bachs, entstanden um 1730 in Leipzig, die in der Fachwelt als getreueste Kopie eines Bachschen Autographs (auch hier könnte es mehrere Fassungen gegeben haben) im Notentext angesehen wird. Zweifel an der Stimmigkeit ergeben sich bei vielen Herausgebern anderer Ausgaben in Bezug auf ihre scheinbar fehlerhafte Kopierweise der Artikulationen und ihre flüchtige Bogensetzung, die Inkonsequenzen aufweist. 


Der Abschrift Johann Peter Kellners, eines Organisten und Klavierspielers, der seine Kopie der sechs Solosuiten wohl ausschließlich zum privaten Studium am Klavier in der ersten Hälfte des Jahres 1726 anfertigte. Auffallend ist hier neben Kopierfehlern der zum Teil schon sehr selbstständige Umgang mit Text und Artikulation.


Der beiden weiteren Abschriften, entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Berlin und Ende des 18. Jahrhunderts wahrscheinlich in Nord- oder Mitteldeutschland. Diese beiden Kopieen ähneln sich sehr, sind linearer phrasiert als die beiden oben genannten und bilden wertvolle Anhaltspunkte zu Artikulation und Verzierungen.


Die hier vorliegende Ausgabe orientiert sich hauptsächlich an der Abschrift Anna Magdalena Bachs. Der Herausgeber hat nicht versucht, scheinbare Unstimmigkeiten, Inkonsequenzen und ungewohnte Artikulationsmuster zu glätten, sondern unter Hinzuziehung der anderen Quellen (hauptsächlich Kellner) offensichtliche Fehler zu eliminieren. Zusätzliche Verzierungen (kleingedruckt) wurden aus den beiden späteren Abschriften entnommen.


Als Ergebnis dieser Arbeit entstand ein besonderes Bild dieser sechs Werke:

Die mehr oder weniger verdeckte Mehrstimmigkeit der Suiten tritt reliefartig zu Tage. Einzelne übereinandergelagerte Stimmverläufe sind besser nachzuvollziehen, harmonische Zusammenhänge verdeutlichten sich und eine reiche Dimension hinter der "Kargheit" des geschriebenen Textes ist entstanden. Sollte die Einfachheit als Essenz einer überaus reichhaltigen Komposition vielleicht das Programm dieser Werke sein? 

Eine endgültige Bewertung dieses Ansatzes kann nie gefunden werden, so wie jede Ausgabe dieser Werke nur Anreiz zur eigenen Beschäftigung des Interpreten mit dieser so überaus reichen und faszinierenden Materie sein kann.




Einige Anmerkungen zur Interpretation:


Aus klanglichen Gründen (eine länger schwingende Saite entspricht eher der damaligen Aufführungspraxis) empfiehlt es sich, Fingersätze so zu wählen, daß so viel wie möglich im unteren Lagenbereich gespielt werden kann. Die Mehrstimmigkeit (Bass- Mittel- und Oberstimme) kann durch das Verteilen der einzelnen Stimmen auf die vier Saiten verdeutlicht werden.


Akkorde sollten in der Regel arpeggiert gebrochen werden, wobei eine die Stimmführung unterstützende Gewichtung der einzelnen Akkordtöne zu beachten ist, dabei ist es möglich, in der Suite V (Normalstimmung) und in der Suite IV alle Akkordnoten zu spielen, da während des Arpeggierens eine Griffänderung ausgeführt werden kann. 


Aus Gründen der Verdeutlichung größerer linearer Zusammenhänge wurde in mehreren Fällen auf die strikte Anwendung der "Abstrichregel" (der Taktbeginn wird automatisch durch einen Abstrich gewichtet) verzichtet. 


Prof. Hans-Christian Schweiker. 

Aachen, 2000.

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